Bücher wandern im Nachttischstapel unweigerlich nach unten. Umso grösser ist die Freude, wenn beim Einreihen ins grosse Regal ein solches Büchlein mir die Zeit stiehlt und mich erneut blättern lässt und auf eine Wanderung schickt.
Wieland Grommes ist Germanist, Mediävist und Dramaturg, er kennt also die ganze Welt. Und in «Vermessungen, Vermessenheiten» nimmt er mich mit auf eine Wanderung durch die Geschichte der Kartografie. Als Kind habe ich Fingerreisen im Diercke-Weltatlas unternommen (das Geschenk meiner Oma bewahre ich auf, auch wenn sich die Länder längst verändert haben); bei Wieland Grommes entdecke und lerne ich Erstaunliches, Verschollenes, Kurioses.
Die «Cartes du tendre» etwa, französische Liebeslandkarten. Oder Karten, die es gar nicht geben dürfte! Eine aus der Türkei, die lange vor Kolumbus Details des amerikanischen Kontinents zeigt; eine andere aus Frankreich, die 1754 den Umriss der Antarktis vor sechstausend Jahren zeigt – was jetzt Tiefenbohrungen bestätigt haben. Grommes entschleunigt die Welt und faltet sie vor mir auf: detailreich und spannend, leichthändig und verständlich. Dass nur wenige Karten abgebildet sind, ist verschmerzbar.